Olweus Mobbing-Präventionsprogramm

Olweus Mobbing-Präventions-
Programm

Weiterführende Informationen zum Thema.

BW StiftungUniklinikum HeidelbergOlweus

Impressionen des Olweus-Tages 2019

Machen wir das? Schaffen wir das? Wollen wir das? So lauteten die Fragen im Kollegium, auch wenn rückblickend die letztere Frage vollständig ihre Berechtigung verliert. Seit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Heinrich-Sigmund-Gymnasiums sich entschieden haben, das OLWEUS Mobbingpräventionsprogramm (OMPP) an ihrer Schule zu implementieren, hat jeder einzelne von ihnen gelernt, warum Mobbingprävention und Intervention eine moralische Verpflichtung ist und das nicht nur den direkt Betroffenen gegenüber.

Mobbing ernst nehmen. Kinder schützen.

Das OLWEUS Mobbingpräventions Programm (OMPP)

Das OMPP wurde in den 1980er Jahren von Prof. D. Olweus entwickelt, der zunächst umfassende Studien zu Gewaltvorkommen an Schulen betrieb und dabei unterschiedliche Typen von Gewalt identifizierte. Die für sein Präventionsprogramm wesentliche Unterscheidung besteht wohl darin, dass Mobbing in seinen Augen keine Konfliktform darstellt, sondern eine Art des Missbrauchs ist. So definiert er:
„Ein Schüler oder eine Schülerin ist Gewalt ausgesetzt oder wird gemobbt, wenn er oder sie wiederholt und über eine längere Zeit den negativen Handlungen eines oder mehrerer anderer Schüler oder Schülerinnen ausgesetzt ist.“
Und ergänzt: „Dabei besteht zwischen Tätern und Opfern ein Ungleichgewicht der Kräfte.“
Die Verantwortung, einen Fall von Missbrauch unter Kindern und Jugendlichen zu beenden liege zudem unzweifelhaft bei den Erwachsenen. Dementsprechend wendet sich das OMPP in erster Linie auch an diese und strebt eine Veränderung des Gesamtklimas an einer Schule an, die von den Erwachsenen angeleitet und vorgelebt wird. Selbstverständlich erfordert das weitreichende Fort- und Weiterbildung aller Erwachsenen an einer Schule, welche durch einen zentralen Baustein des Programms gewährleistet werden soll, die Supervisionsgruppentreffen, an denen wirklich alle Erwachsenen aus dem Schulbetrieb teilnehmen sollen.

Im Rahmen dieser Gruppentreffen sollen alle weiteren Bausteine des Programms erarbeitet, geplant und letztlich auch umgesetzt werden, als da wären:

 

  • Einrichtung eines Präventionskomitees aus Elternvertretern, Lehrern, Schulleitungsmitgliedern und Schülervertretern,
  • Einführung von regelmäßig (etwa alle zwei Wochen) gehaltenen Olweus-Klassenstunden,
  • Festlegung der vier Klassenregeln gegen Mobbing als für alle Personen an der Schule verbindliche Schulregeln,
  • Überarbeitung, oder gänzliche Neuorganisation der Pausenaufsichten,
    Jährliche Durchführung einer anonymisierten Schülerumfrage zu Mobbing und antisozialem Verhalten an der Schule,
  • Erstellung eines transparenten Lob- und Sanktionierungssystems bezüglich erwünschten und antisozialen Verhaltens
  • Erarbeitung eines schuleigenen Plans zur Umsetzung obiger Punkte und Sicherstellung fortlaufender Optimierung desselben.

 

Ersichtlich wird hier schnell, dass das Hauptaugenmerk des Programms auf der Präventionsarbeit liegt. Selbstverständlich werden alle Erwachsenen für wirksame Interventionen im Mobbingfall ausgebildet, jedoch ist oberstes Ziel des OMPP, die Mobbingsituation schon im Vorhinein durch ein prosoziales Umfeld weitestgehend zu verhindern. Dabei erzielt das Programm laut weltweiter Begleitstudien sehr erfreuliche Nebeneffekte, ohne im Besonderen auf diese Bereiche ausgelegt zu sein. So verbessert es das wahrgenommene Schulklima insgesamt und reduziert unter anderem Unterrichtsstörungen, verbale Entgleisungen, Vandalismus, Drogenmissbrauch und suizidale Tendenzen.

Die Betroffenen

Im Gegensatz zur üblichen Auffassung, dass die Betroffenen von Mobbing diejenigen seien, die tatsächlich aktiv gemobbt würden, geht das OMPP von der Annahme aus, dass jeder in einem sozialen Umfeld von dort stattfindendem Mobbing betroffen ist. Zum einen sind das weiterhin die Gemobbten (der Begriff Opfer wird bewusst vermieden!), insbesondere aber auch die Mobber, als Personen mit gleichermaßen ausgeprägtem Hilfebedarf. Lässt man mobbende Kinder und Jugendliche zu lange mit diesem antisozialen Verhalten gewähren, riskiert man für sie, laut Studien, eine langfristig antisoziale Entwicklung, die zu Anpassungsschwierigkeiten in Beruf und sozialem Umfeld, ja sogar zu Konflikten mit dem Gesetz und kriminellen Karrieren führen kann.
Diese zwei Typen von direkt betroffenen Kindern und Jugendlichen machen zusammengenommen etwa 25 % der Kinder und Jugendlichen in Deutschland insgesamt aus!

Schließlich sind auch noch alle anderen, indirekt am Mobbing Beteiligten, von demselben betroffen. Für Umstehende, ob nun emotional eher den Mobbenden, oder den Gemobbten nahe stehend, ist die Art und Weise, wie auf Mobbingfälle reagiert wird ganz entscheidend. Aus der Reaktion, vor allem der der Erwachsenen, leitet sich das soziale Verständnis für den sogenannten Normalzustand ab. Wird im Regelfall wenig, oder gar nichts unternommen, um Mobbing zu beenden, oder für die Zukunft zu verhindern, wird es mit der Zeit als gewöhnliches Alltagsphänomen eingestuft. Dies wiederum führt zu einem insgesamt unsozialeren Umfeld, in dem Antisoziales Verhalten jedweder Art besser gedeihen kann. Aus diesem Grund gilt es präventiv tätig zu werden und zu bleiben, zum Wohle und Schutz aller potentiell Betroffenen.

Pilotprojekt in Deutschland

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Im Jahre 2015 bot sich erstmalig in der Bundesrepublik für einige Schulen die Gelegenheit, das OMPP im Rahmen eines Pilotprojekts zu implementieren. Mit Finanzierung durch die Baden-Württemberg-Stiftung konnte ein Team der Heidelberger Kinder- und Jugendpsychiatrie eine Ausschreibung starten, mit dem Ziel etwa 30 Schulen aus Baden-Württemberg für eine erste Welle an Pilotschulen zu gewinnen. Wie sich herausstellte, war es gar nicht so einfach, viele Schulen für diesen Weg zu gewinnen, sodass in der ersten Welle lediglich 12 Schulen an den Start gingen, bzw. sich bereit erklärten, es zu versuchen.
Für diese Schulen wurden zunächst sogenannte „OLWEUS-Coaches“ ausgebildet, die die Implementierung des Programms dann an ihrer jeweiligen Schule anleiten sollten. Die Ausbildung der Coaches wurde von Mitarbeitern von OLWEUS-International aus Norwegen übernommen, die extra zu diesem Zweck eingeflogen wurden. Die Betreuung der Coaches endete jedoch nicht mit der Ausbildung, sondern findet grundsätzlich unbegrenzt weiter statt. Dadurch wird eine Vernetzung von OLWEUS Fachkräften sowohl national, als auch international bewirkt, die unter anderem einer ständigen Selbstevaluation und Weiterentwicklung des Programms zuträglich ist.

Mittlerweile hat es drei Wellen von Schulen gegeben, an denen die Implementierung des OMPP angestrebt wurde. Die Coachausbildung wurde zwischenzeitlich von OLWEUS-USA übernommen und bereits in einigen Details an die Gegebenheiten im deutschen Schulsystem angepasst. Einige Schulen haben es dennoch nicht geschafft, viele sind noch dabei, und ein paar Schulen haben es bereits so weit gebracht, dass sie zu OLWEUS-Schulen zertifiziert wurden.

Motivation und Anfang
Als die Informationen bezüglich der Möglichkeit der Teilnahme an diesem Pilotprojekt an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des HSG herangetragen wurde, schien es grundsätzlich nicht schwer, von der Nützlichkeit des OMPP zu überzeugen. Die Vorzüge und sich bietenden Möglichkeiten im Rahmen einer so umfassenden Überarbeitung des sozialpädagogischen Konzeptes der Schule waren recht schnell aufgezeigt.
So führte die erste Abstimmung direkt zu der Entscheidung, die Implementierung des OMPP am HSG durchzuführen. Die überwiegende Mehrheit der Erwachsenen an der Schule stimmte dafür und das nicht etwa, weil wir zu der Zeit von besonderen Mobbingfällen am HSG Kenntnis gehabt hätten. Im Gegenteil überzeugte uns die Tatsache, dass das Programm ein breitgefächertes Präventivprogramm ist, welches eine positive Veränderung des Gesamtklimas an der Schule bewirken soll und neben seiner Kernaufgabe, der Mobbingprävention, auch noch zu einer großen Zahl weiterer positiver Effekte beitragen könne. Und wer möchte sich schon dagegen entscheiden, etwas zum Schutz der Kinder und Jugendlichen zu tun und dadurch auch noch den eigenen Arbeitsplatz angenehmer zu gestalten?

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Unser Programm am HSG

Also wurde im März 2015 beschlossen, dass Herr Hentschel die Ausbildung zum OLWEUS-Coach angehen sollte, um die Implementierung des OMPP, zunächst mal am HSG, anzuleiten.
Bereits im Juli desselben Jahres, fand die erste Schülerumfrage zu Wohlbefinden und Sozialverhalten in der Schule am HSG statt. Diese vollständig anonymisierte Umfrage, die den Kindern und Jugendlichen ermöglicht, uns frei und ehrlich ihre Eindrücke und Erfahrungen mitzuteilen, wurde seither jedes Jahr im Juli durchgeführt, unter Leitung und Koordination von Frau Gein. Frau Gein hatte sich gleich im Frühjahr 2015 bereiterklärt, die Aufgabe der Programmkoordinatorin an unserer Schule zu übernehmen, was beinhaltet, dass sie neben der Umfrage auch alle anderen Berührpunkte zwischen dem Team der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Heidelberg, der Schulleitung, dem Kollegium und anderen Beteiligten unterstützend koordiniert und mitorganisiert. Im Anschluss an die erste dreitägige Ausbildung Herrn Hentschels im September, wurde von ihm im Oktober die Elternschaft des HSG auf einem Elternabend ausführlich über das OMPP und die Ergebnisse der Erstumfrage informiert. Auf die Möglichkeit zur Mitwirkung wurde hingewiesen und erfreulicherweise meldeten sich direkt einige Freiwillige.

In den folgenden Wochen gab der Coach des HSG allen Erwachsenen an der Schule eine Fortbildung bezüglich der anstehenden Arbeit mit dem Programm, die je nach gewünschter Position der Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Programm entweder einen, oder zwei ganze Tage umfasste. Die zweitägige Fortbildung besuchten vor allem die zukünftigen OLWEUS-Gruppenleiterinnen und Gruppenleiter, welche nach Besuch der Fortbildung daran gingen, die OLWEUS-Gruppentreffen (ehemals Supervisionsgruppentreffen genannt) ins Leben zu rufen, in denen sich ab November 2015 alle Erwachsenen des Schulalltags im Abstand von jeweils 2 bis 3 Wochen für 90 Minuten zusammensetzen sollten, um sich selbst weiter fortzubilden und die Grundlage für Fallbesprechungen, ein Weiterentwicklungsforum und Ähnliches zu schaffen.
Parallel dazu traf sich auch zum ersten Mal das damit gegründete OLWEUS-Präventionskomitee, bestehend aus Schülervertreterinnen und –vertretern, Elternvertreterinnen und –vertretern, OLWEUS-Gruppenleiterinnen und Gruppenleitern, Schulleitungsmitgliedern, der Koordinatorin und dem Coach. Während dieser Anfangsphase, in der der Fokus auf der Fortbildung aller Erwachsenen lag, besuchte Herr Hentschel im Frühjahr und September 2016 jeweils zweitägige Fortbildungsveranstaltungen in Heidelberg und begleitete alle beginnenden Prozesse, sowie die Fortschritte in den Gruppentreffen.

Während des Schuljahres 2016/2017 wurden unter anderem Soziogramme zur Bildung von Arbeits- und Bezugsgruppen in Klassen eingeführt, die 4 Klassenregeln gegen Mobbing in allen Klassen unterrichtet und ausgehängt, erste OLWEUS-Klassenstunden gehalten und erste Entwürfe für eine Überarbeitung der Pausenaufsicht gesammelt.
Im Juni 2017 fand dann die erste große GLK statt, deren einziges Thema die Mobbingpräventionsarbeit war. Unter Leitung des Coaches, Herrn Hentschel, wurde eine Erhebung der bereits geleisteten Arbeit versucht, wurden einzelne Sparten an Sonderbeauftragte übergeben, eine Menge Fragen beantwortet und noch mehr neue gestellt. Ab sofort gab es einen Beauftragten für die Erstellung und weitere Betreuung der „Sanktionenleiter“, einen Beauftragten für alle Belange der Neuorganisation der Pausenaufsicht, eine Beauftragte für die Dokumentation und Koordination der Klassenstunden und eine ganze Reihe an neuen Punkten für die Tagesordnung der nächsten Gruppentreffen.
Um den sich ausweitenden Anforderungen gerecht bleiben zu können, fand im Juli direkt noch eine halbtägige Fortbildungs-, bzw. Abstimmungsveranstaltung mit Beteiligung der Gruppenleiter und des Coaches statt.

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Herbst 2017 wurde Herr Hentschel zur Teilnahme an der Veranstaltung „Perspektiven 2017“ der Baden-Württemberg-Stiftung entsendet, in dessen Umfeld das HSG mit seinem Coach und einigen Schülerinnen und Schülern, sowie einer seiner Gruppenleiterinnen in die Zeitschrift „Perspektiven“ Einzug fand. In den dort gedruckten Berichten sollte das OMPP und die Arbeit mit dem Programm einem größeren Publikum nahegebracht werden. Letztlich tauchte das HSG in diesem Zusammenhang sogar im Jahrbuch der Stiftung auf.

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Ab November des Jahres wurden am HSG die auf der GLK beschlossenen Maßnahmen umgesetzt und dokumentiert, sodass das OMPP jetzt nahezu in vollem Umfang lief. Bereits im Januar 2018 lag ein vollständiger Entwurf zur Neuregelung der Pausenaufsicht vor, der ab Sommer 2018 so in Gänze umgesetzt werden konnte.
In dem Versuch die Bekanntheit des Programms in der Bundesrepublik weiter voranzubringen, wurden Vertreterinnen und Vertreter des Programms nach Erfurt eingeladen, um auf einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung bezüglich vorkommender Gewalt gegen Lehrer zu sprechen. Das HSG sendete als einzige Schule seinen Coach zu der Veranstaltung und unterstützte damit die Bestrebungen im Kampf gegen Mobbing und antisoziales Verhalten über seine eigenen Grenzen hinaus.
Im ersten Halbjahr des Schuljahres 2018/2019 schließlich, konnte die Arbeit der Erwachsenen am HSG in einem Umfang dokumentiert werden, der die Zertifizierung zur OLWEUS-Schule ermöglichen sollte.

Mit der Übergabe des Zertifikats durch Herrn Prof. Resch von der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Heidelberg, am 05.04.2019, konnte sich das HSG als bundesweit erstes OLWEUS-Gymnasium auszeichnen. Mit der angestrebten Rezertifizierung im Jahre 2021 haben sich Leitung und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter neue Ziele gesteckt und sich zur Weiterarbeit mit dem Programm bekannt.
Die Bedeutung, die dieser Art Arbeit zukommt, wird immer offensichtlicher, nicht zuletzt dank solcher Veranstaltungen wie des World-Anti-Bullying-Forum (WABF), welches 2019 zum zweiten Mal stattfand. Obwohl das Forum für drei Tage in Dublin (Irland) angesetzt war, ließ die Leitung des HSG es sich nicht nehmen, auch hier Herrn Hentschel die Teilnahme zu ermöglichen, einen Beitrag zur internationalen Mobbingpräventionsarbeit zu leisten und die Fortbildung eines dankbaren Mitarbeiters weiter voranzutreiben.

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Sicherlich gibt es weiterhin noch viel zu tun, viel zu überdenken, neue Wege auszuprobieren und auch Bestehendes zu überarbeiten. Doch sicherlich ist das HSG mit dem OMPP auf einem sehr guten Kurs. Nicht nur bezüglich etwaiger Mobbingvorfälle, sondern insgesamt in seiner zunehmenden Ausrichtung auf ein volldurchdachtes prosoziales Schulklima, welches sowohl den uns anvertrauten Kindern und Jugendlichen, als auch uns selbst, als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des HSG eine angenehme, geschützte und damit auch produktive Schulatmosphäre ermöglicht.
Neben den bereits laufenden Arbeiten zur Vorbereitung der Rezertifizierung im Jahr 2021, steht als nächste Großveranstaltung die International Bullying Prevention Assoziation (IBPA) – Conference im Kalender. Diese wird im November in Chicago stattfinden und wie es aussieht, wird auch dort ein Vertreter des HSG anwesend sein, wenn Herr Hentschel erneut als Coach ausgesandt wird, um die Arbeit am HSG mit internationaler Präventionsarbeit zu vernetzen.

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